Der Wassermann
Figürliche Darstellung des Wassermanns
(Bild: Kosmos Verlag/Kay Elzner)
Welches Wasser trägt der Wassermann? Und wer ist das überhaupt? Warum die Figur des Wassermanns bereits im alten Griechenland niemand so wirklich verstand, erklärt Susanne M. Hoffmann in ihrem Buch „Wie der Löwe an den Himmel kam“:
Eratosthenes schreibt, dass der Wassermann wohl seinen Namen von der Tätigkeit erhalten hat, mit der er dargestellt ist: „Er steht da mit einer Weinkanne in der Hand und bringt einen kräftigen Guss einer Flüssigkeit aus.“ Was von Eratosthenes’ Text weiter erhalten ist, bezeugt jedoch eine gewisse Unsicherheit über die Natur dieser Flüssigkeit. Wenn es eine Weinkanne ist, könnte man ja fast meinen, dass er gegorenen Traubensaft ausschenkt, aber das erwähnt Eratosthenes nicht direkt. Er überliefert nur, dass wohl manche seiner Zeitgenossen dachten, dass es sich hier um Ganymed, den Mundschenk der Götter, handele. Dieser sei schließlich aufgrund seiner Schönheit von Zeus entführt und wegen seiner guten Dienste von den Göttern für würdig erachtet worden, Unsterblichkeit zu erlangen. Als Mundschenk gösse er nun am Himmel den Nektar aus, der von den Göttern getrunken werde. Laut Ovids Fasti ist die Flüssigkeit, die ausgegossen wird, ein Gemisch aus Nektar und Wasser, während Aratos keinen Zweifel daran lässt, dass es sich um Wasser handelt. Er schreibt in Vers 389 bis 399, dass dort schwache Sterne in der Mitte zwischen dem Ungeheuer Ketos (lat.: Cetus) und dem Südlichen Fisch „schweben“, die namenlos sind, aber wie ein Guss hier und da verspritzten Wassers neben der rechten Hand des erlauchten Wassermannes erscheinen. Diese zahlreichen kleinen Sterne im Zwischenraum zwischen Cetus, Fisch und Wassermann nennt Aratos das Wasser. Für viele Forscher ist es ein Mysterium, was der Dichter hier gemeint haben könnte, denn das Sternbild des Wassers ist nirgends sonst belegt.
Es legt die Vermutung nahe, dass der große sternbildlose Raum damit gemeint ist, der die wässrigen Sternbilder verbindet. Der Dichter erwähnt zwei helle Sterne in dieser Gegend, Diphda (β Cet) und Fomalhaut (α PsA). Zwischen ihnen plätschert der Ausguss des Wassermannes, der aus zahlreichen Gruppen von zwei bis drei schwachen Sternchen besteht, die tatsächlich wie Wasserspritzer wirken könnten. Auf dem Atlas Farnese ist der Ausguss des Wassermannes als eine Schlängellinie dargestellt. Zusammen mit dem Band der Fische und dem Fluss Eridanus rahmt es eine Fläche von schwachen Sternen ein. Das ist vermutlich die bildhauerische Interpretation des mysteriösen, nur bei Aratos erwähnten, Sternbildes des Wassers.
In Wahrheit ist die Figur des Wassermannes bereits in Griechenland unverständlich gewesen. Der Tierkreis war ja vor dem vierten Jahrhundert v. Chr. aus Babylon übernommen worden und folglich sind alle Figuren im Tierkreis ursprünglich babylonisch. In MUL.APIN heißt das Sternbild in dieser Himmelsgegend der Großartige und damit ist der größte der menschenfreundlichen Götter gemeint, Enki (sumerisch) bzw. Ea (akkadisch). Er ist im babylonischen Pantheon in erster Linie ein Gott der Weisheit und Zauberkraft, doch ist er durch seine Weisheit auch derjenige Gott, der die Menschen oft vor Strafen und Willkür anderer Götter bewahrt. Ein sehr wohlwollender Gottvater also, dessen „Kinder“ symbolisch die Menschen sind. Dieser weise Gott Ea hat in Mesopotamien schon immer die Ikonografie, dass ihm als Erkennungszeichen zwei Wasserströme aus den Schultern entspringen. Sie werden manchmal als Euphrat und Tigris gedeutet, jedoch spielt es eigentlich keine Rolle, ob es sich um reale Flüsse handelt. Wichtig ist nur, dass es sich um Süßwasser handelt – und somit um Trinkwasser. Der Gott der Weisheit lebt angeblich im Grundwasser.
Dieses Bild war für jede andere Kultur natürlich unverständlich. Für die Griechen war die Weisheit eine Göttin und kein Gott. Das Bild von zwei Flüssen aus den Schultern eines Mannes war ihnen nicht zugänglich; es musste umgedeutet und ein Mythos dazu erfunden werden.
Damit wird nicht nur die Bezeichnung der Figur als Wassermann klar, sondern es kann auch die Brücke zum griechischen Deukalion geschlagen werden, denn Deukalion ist der griechische Noah und der babylonische Gott Ea verschuldet dessen „Eingebung“, eine Arche zu bauen.
Die außerordentlich positive Konnotation des Gottes, den der Wassermann repräsentiert, ist vermutlich auch die Erklärung der zahlreichen positiven Sternnamen im Arabischen. Obwohl die Herkunft dieser Namen laut dem Arabisten Paul Kunitzsch heute nicht mehr direkt nachgewiesen werden kann, liegt es nahe, die Bezeichnungen wie „Glück des Königs“ und „Glück des Glücklichsten“ für α und β Aquarii (sowie viele andere Kombinationen mit dem Wort „Glück“) auf babylonische Interpretationen der Figur zurückzuführen.
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